Cover
Titel
Money in the Dutch Republic. Everyday Practice and Circuits of Exchange


Autor(en)
Felten, Sebastian
Erschienen
Anzahl Seiten
290 S.
Preis
€ 93,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eric Häusler, Historisches Institut, Universität Bern

„Geld regiert die Welt“ – eine Binsenwahrheit nicht nur im öffentlichen Diskurs, sondern auch in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Wie jedoch die Herrschaft des Geldes genau funktioniert, erscheint häufig undurchschaubar und bleibt meist unverstanden.1 Geld, so scheint man zu wissen, ist mächtig und beherrscht uns. Zugleich wird es aber als neutrales, standardisiertes und unpolitisches Austauschmedium wahrgenommen.2 Und es gilt: Je einfacher sich der Zahlungsverkehr gestaltet, desto praktischer und effektiver.

Diese weit verbreiteten (vermeintlichen) Tatsachen unterzieht Sebastian Felten mit seiner historischen Mikrostudie zu monetären Praktiken in der Dutch Republic (Republik der Vereinigten Niederlande) zwischen 1600 und 1850 einer kritischen Prüfung. Er betont, dass Geld seine spezifische Bedeutung erst durch die jeweiligen Praktiken diverser historischer Akteur:innen erhielt und liefert eine empirisch fundierte Analyse seiner Funktionsweisen. Die Studie mündet in der kontraintuitiven These, dass insbesondere die Pluralität verschiedener Zahlungsformen bedeutende praktische Vorteile mit sich brachte. Anstatt chaotische Zustände zu generieren, gewährleistete das Vorhandensein pluraler Geldformen den Akteur:innen multiple problem- und anwendungsgerechte Einsatzfelder. Bis weit ins 19. Jahrhundert stützten die jeweiligen Praktiken der Wertbestimmung, Konvertierung, Materialprüfung und Buchhaltung lokale sowie überregionale Transaktionen und stellten sicher, dass Geld als Sozial- und Finanztechnologie adäquat funktionierte.

Die Studie setzt zum Höhepunkt der Dutch Republic im 17. Jahrhundert ein, als das Land eines der Zentren des weltweiten Handels war und hunderte verschiedener Geldformen im Umlauf waren. Sie endet im 19. Jahrhundert mit der Etablierung einer nationalen Ökonomie und weitreichenden Schritten hin zu einer standardisierten nationalen Währung. Auch wenn der Einfluss der alltäglichen Nutzer:innen verschiedener Geldformen im Vergleich mit staatlichen Institutionen im Verlauf dieser Entwicklung abnahm, wird dies dezidiert nicht als umfassendes Modernisierungsnarrativ vorgestellt.

Die Studie ist in sechs Kapitel gegliedert. In den ersten drei Kapiteln werden Techniken rekonstruiert, mit deren Hilfe Objekte in Geldwerte verwandelt wurden. Damit wird zugleich die methodische Vorarbeit geleistet, um Geld als soziale Technologie analysieren zu können.3 Die beiden folgenden Kapitel widmen sich den Funktionsweisen der Münzprägung. Das sechste Kapitel untersucht, wie der Einsatz von Geld als sozialer Technologie im Kontext des entstehenden Nationalstaats rekonfiguriert wurde.

Das erste Kapitel präsentiert eine der Kernideen des Buches und legt die konzeptionelle Grundlage für die folgenden Ausführungen: Geld wird als soziale Technologie definiert, als eine Beziehung zwischen Menschen, Objekten und Bedeutungen, durch die monetäre Objekte immer wieder soziale Strukturen herstellen und vice versa. Die Fallstudie der katholischen Holy Cross Community im Osten der Niederlande zeigt, wie die Kombination verschiedener Spenden (von Getreide, Münzen, Arbeitszeit) den Neubau der Kapelle beschleunigte. Deutlich wird auch, wie die bewusst unterlassene Quantifizierung von bestimmten Objekten deren Präsenz innerhalb der Kapelle und außerhalb der „monetary sphere“ (S. 23) sicherstellte.

Im zweiten Kapitel untersucht Felten, wie Getreide im östlichen Gelderland routinemäßig als Währung eingesetzt wurde. Trotz der „nonchalance with which rural inhabitants switched between coin and corn“ (S. 33) war die Monetarisierung von Getreide – also die Umwandlung in transferierbare Werte – höchst voraussetzungsvoll. Sie bedingte nicht nur die Produktion und Lagerung von Getreide, sondern auch die Etablierung spezifischer Maßeinheiten. Erst das Erfassen und Aufzeichnen all dieser Schritte in Form von Rechnungsbüchern („ink money“) oder mündlichen Zeugenaussagen („mental accounting“) machte Getreide zu einem robusten und akzeptierten Zahlungsmittel (S. 59).

Das dritte Kapitel widmet sich dem Artois pound, einer unter der Herrschaft des Hauses Oranien-Nassau geltenden buchhalterischen Konvention, die materiell nur als Tinte in Rechnungsbüchern in Erscheinung trat. Dennoch spielte sie eine entscheidende Rolle bei der Einziehung von Steuerabgaben durch die Verwalter des Hauses Oranien-Nassau. Durch die in Rechnungsbüchern dokumentierten Praktiken der Wertbestimmung und fortlaufenden Konvertierung von Wertobjekten (wie zum Beispiel Vieh) hin zu unterschiedlichen Währungen oder dem Artois pound konnten Werte in andere Gebiete der fürstlichen Domäne transferiert werden. Um die Andersartigkeit von realen und Buchwerten zu überwinden, war die „monetisation-as-exploitation“ auf die Praktiken der „monetisation-as-conversion of values“ angewiesen (S. 94).

Im vierten Kapitel wird gezeigt, wie in der Frühen Neuzeit intrinsische, auf die Produktionskosten zurückzuführende Werte von Edelmetallen ermittelt wurden, um von einer breiten Öffentlichkeit anerkanntes und genutztes Geld zu kreieren. Dabei liegt der Fokus auf der dichten Beschreibung von Praktiken und Wissen der Metallkunde – anstatt, wie in der Geschichtsschreibung üblich, auf der Interpretation zeitgenössischer ökonomischer Werke. Münzen wurden in den Zentren der Macht geprägt. Aufwendige Testverfahren der Materialprüfung und eine Vielzahl an individuellen Verteilern waren jedoch essenziell für die Gewährleistung effizienter Handelstransaktionen und für die Funktionalität von Geld jenseits des Nominalwertes offizieller Münzen. Der grundlegende Konsens, Edelmetallen einen intrinsischen Wert zuzuschreiben, kam in der Frühen Neuzeit laut Felten einer global geltenden Praxis nahe (S. 134).

Im fünften Kapitel wird hervorgehoben, wie taxonomische Praktiken von Kaufleuten es möglich machten, unterschiedliche Währungen zu vergleichen und für Transaktionen einzusetzen. Die genauen Zahlungsmodalitäten waren an spezifische Handelssituationen gebunden. Die Qualität von Objekten zu beurteilen, Objekte als Währung anzuerkennen, Währungen umzurechnen – der Einsatz derartiger Praktiken bildete die Grundlage der Zirkulation, die verschiedene lokale Netzwerke zu einem theoretisch in seiner Größe unlimitierten Kreislauf verband. Auch wenn staatliche Institutionen Geld emittierten, war die „maintenance“ durch Nutzer:innen grundlegend für frühneuzeitliche Währungen (S. 173).

Das sechste Kapitel analysiert philanthropische Diskurse und Regierungspraktiken und erläutert, wie Geld als soziale Technologie zwischen 1750 und 1850 rekonfiguriert wurde. Im Gegensatz zur Vereinheitlichung von Sprache, Gewichts- und Maßeinheiten, Bildung und Armenpflege in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurde die Anzahl verschiedener Münztypen erst später im Kontext der Nationalstaatenbildung reduziert. Auch dies kam keinem radikalen Wandel gleich. Menschen in Grenzregionen kombinierten den neuen Gulden nach wie vor mit fremden Währungen und im ländlichen Raum wurde der auf dem Austausch von Objekten und dem Einsatz von Abrechnungseinheiten basierende Tauschhandel fortgesetzt (S. 206).

Resümierend hält Felten fest, dass die Analyse von alltäglichen Praktiken „viewed from the inside“ (S. 207) einen produktiven analytischen Zugriff auf die Kreation und Instandhaltung von Geld in der Frühen Neuzeit gewährleistet. Hierdurch wird der Blick auf Vorgänge geöffnet, die bei der Untersuchung von wirtschaftlichen Austauschformen ansonsten häufig als Black Box behandelt werden. Zudem werden weiterführende Möglichkeiten für systematische Vergleiche sowie neue thematische Schwerpunkte (das Potenzial von Silber für eine globale Wissens- und Technologiegeschichte) skizziert.

Money in the Dutch Republic strebt einen „fresh look at the plurality of European money“ (S. 2) an. Der Autor löst diesen Anspruch überzeugend ein, indem er den historischen Akteur:innen ein relativ hohes Maß an autonomer Handlungsmacht einräumt, ihre jeweiligen Praktiken ins Zentrum der Analyse rückt und die häufig vernachlässigte rurale Bevölkerung mit einbezieht. Er argumentiert für das große Erkenntnispotenzial adäquat kontextualisierter historischer Mikrostudien und einer Perspektive „von unten“.4 Es ist besonders hervorzuheben, dass der Historiker Felten einen produktiven Beitrag zum transdisziplinären Diskurs leistet. Mit seiner empirisch fundierten und theoretisch reflektierten Studie zu den Modalitäten der Generierung von Geld verleiht er beispielsweise den zahlreichen bedeutenden Studien der Geldsoziologie5 die notwendige historische Tiefenschärfe und bietet ihnen so entscheidenden argumentativen Rückenwind.

Anmerkungen:
1 Vgl. Axel T. Paul, Theorie des Geldes zur Einführung, Hamburg 2017. Rezensiert von Hanno Pahl in: H-Soz-u-Kult, 15.02.2018, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-26476 (22.05.2023).
2 Siehe stellvertretend William Goetzmanns Einschätzung: „The story of finance is the story of a technology: a way of doing things. [...] It is not intrinsically good or bad.“ William Goetzmann, Money Changes Everything. How Finance Made Civilization Possible, Princeton 2016, S. 1.
3 Diese methodischen Ausführungen sowie ihre anschließende Anwendung auf historische Fallbeispiele knüpfen nahtlos an Überlegungen zur Wertbestimmung und Kommensurabilität in der neueren Wirtschaftssoziologie an, die die Annahme simpler Umrechnungs- und Wechselkurse problematisieren. Patrik Aspers / Jens Beckert, Value in Markets, in: Jens Beckert / Patrik Aspers (Hrsg.), The Worth of Goods. Valuation and Pricing in the Economy, New York 2011, S. 3–38.
4 Vgl. Ulinka Rublack, The Astronomer and the Witch. Johannes Kepler’s Fight for His Mother, Oxford 2015.
5 Vgl. etwa Aaron Sahr, Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft, München 2022; Aaron Sahr, Keystroke-Kapitalismus. Ungleichheit auf Knopfdruck, Hamburg 2017.